FRIEDENSRAT RÄUMT BELMSK!
Putin: "Es gibt keinen sogenannten
Bezirksdistrikt in Osnabrück mehr"

Hunderte Tote, Tausende Verletzte
Über 400 Haftbefehle vollstreckt
Weite Teile des Distrikts zerstört
Zehntausende ohne Obdach
Wiederaufbauprogramm verkündet

(hc) Eine Woche nach Beginn der Räumungsoperation "Barbarossa" meldete Ratssprecher Pjotr Putin am Anfang der heutigen marathonartigen Medienkonferenz der Plexregierung den endgültigen Vollzug der Befreiung des Roten Distrikts von der vierjährigen Herrschaft der Roten Volksarmee (RVA). In dem beispiellosen bürgerkriegsähnlichen Einsatz stürmten massive Sichtec-Kräfte Belm-Schinkel, nachdem sie die Belmsker Blockade vergangenen Freitag überschritten hatten, in Position gegangen waren und die Stellungen der Roten Volksmilizen (RVM) mit schwerem Gerät sturmreif schossen. Die Räumung forderte offiziellen Angaben zufolge 196 Todesopfer und 4.458 Schwerverletzte (darunter drei bzw. 284 Sichtec-Offiziere), 423 Haftbefehle konnten vollstreckt und 12.592 Personen mußten vorläufig festgenommen werden. Tatsächlich liegen die Zahlen der toten und verletzten Zivilisten nach Insider-Informationen wohl mindestens fünfmal so hoch und auch die Haftbefehle konnten in 77 sogar amtlich bestätigten Fällen nur noch verstorbenen Adressaten vorgehalten werden. Große Teile von Belmsk sind durch die Räumung, bei der sogar zwei Kampfjets bislang unbekannter Herkunft zum Einsatz kamen, stark oder vollständig zerstört worden. Zehntausende Belmsker hausen seit Tagen als Obdachlose in den Ruinen ihrer Häuser. Friedensrätin Franziska Wieselmann verteidigte als Leiterin der Innenbehörde das "erforderliche und angemessene Vorgehen der Sichtec" und schob die Verantwortung für einen Großteil der Opfer und Zerstörungen den mit Beginn der Räumung ausgebrochenen Unruhen in Belmsk zu. Putin und Wieselmann betonten aber, daß Belm-Schinkel nicht wie nach den Netzer-Unruhen 2100 wieder sich selbst überlassen werde, sondern dort "zukünftig Ordnung, Sicherheit und Wohlstand im Sinne unserer Friedensstadt" herrschen müsse. Erste Investoren für ein Wiederaufbauprogramm seien bereits gefunden worden.

Es herrscht wieder sowas wie Frieden in der Friedensstadt. Ein Friede wie auf einem Friedhof, bedeckt von den Leichentüchern der Opfer und gebaut auf den Trümmern ihrer Heimat, die wie Grabsteine als kollektives Mahnmal des "Räumungsfalls Barbarossa" in den trüben Himmel Osnabrücks ragen. Die Zeit vom 18. bis 25. September 2104 wird den Plexbewohnern als eine Woche in Erinnerung bleiben, in der ein Krieg direkt vor ihren Haustüren stattfand und sich vor ihren Augen Szenen abspielten, die sie sonst nur aus dem "War Reality Channel" kennen. Und dessen Einschaltquoten in Osnabrück sanken, als findige Kleinunternehmer den Wert ihrer Fenster, Balkone und Terassen rund um das plexeigene Kriegsgebiet erkannten und sie zu horrenden Preisen stundenweise an Journalisten und schaulustige Konflikttouristen vermieteten, während ihre Nachbarn jenseits der Belmsk-Blockade unter Trümmern begraben wurden. Reality-TV hautnah und der ganz normale Wahnsinn, anno 2104 in der Friedensstadt Osnabrück. Wo bekannte Gangster zu geachteten Politikern wurden und neokommunistische Terroristen jahrelang einen ganzen Stadtteil kontrollierten. Und wo dieser Stadtteil 363 Tage lang einer steuerfinanzierten Blockade unterzogen wurde (RUNNER'S RESORT berichtete), nur um dann in einem Gewaltakt exekutiver Exzesse schließlich doch gestürmt zu werden. Weil man sowas vor der Wahl dem Wähler natürlich nicht zumuten konnte (RUNNER'S RESORT berichtete), der zwar gerne dabei zuschaut aber so verdammt ungerne Verantwortung dafür trägt. Eben einfach der ganz normale Wahnsinn, anno 2104 in der Friedensstadt Osnabrück, der in der vergangenen Woche sein wahres Meisterstück inszenierte: Am 18. September überquerten gegen 21 Uhr erste Voraus-Verbände der Sichtec in einer konzertierten Aktion die Blockade-Anlagen und errichteten Brückenköpfe im Roten Distrikt, die als Aufmarschgebiet für nachfolgende Einheiten dienten. Erste Kampfhandlungen begannen bereits eine Stunde später, die "Abschnitts- und Betriebskampfgruppen" der Volksmilizen und -polizei der RVA leisteten zunächst erfolgreich Widerstand und konnten sogar einen Brückenkopf kurzfristig einnehmen. Doch als die Sichtec schließlich gegen 23 Uhr das Feuer aus Schützenpanzern und Helikoptern eröffnete, brach die organisierte Verteidigung des Bezirksdistrikts weitgehend zusammen. Lediglich im "Abschnitt Mitte" schossen einige der improvisierten Luftabwehrstellungen noch einen Hubschrauber der Sichtec ab. Mit dem von offizieller Seite immer noch heftigst dementierten Luftangriff zweier nicht identifizierter Kampfjets, die gegen Mitternacht gezielt Brandbomben über Belmsk abwarfen, entglitt der RVA schließlich die gesamte öffentliche Ordnung. Überall kam es zu spontanen Plünderungen und Aufständen, denen die überforderte Volkspolizei nicht mehr Herr wurde. Am frühen Morgen des 19. September kontrollierte die Sichtec nahezu alle Randabschnitte von Belmsk und begann ab Mittag damit, die wenigen noch verbliebenen Stellungen der roten Verteidiger Straße für Straße und Haus für Haus zu säubern.

Im Laufe dieser zweiten Phase der Räumung erreichte die Sichtec am Nachmittag des Tages schließlich ein bekanntes Etablissement der Schattenwelt, das in den letzten Jahren zum Symbol des Widerstands gegen das herrschende Unterwelt-Syndikat und seinen Marionetten-Friedensrat avancierte: Den Ostbunker, der im Bezirksdistrikt als "Sonderverwaltungszone" eine gewisse Autonomie genoß und von den Mitgliedern der dort herrschenden Dragow-Familie immer wieder verbissen verteidigt wurde. Offenbar bis zur allerletzten Stunde. Zeugen berichten, daß die Sichtec das Gebäude zeitgleich per Helikopter über das Dach und den von innen versiegelten Haupteingang stürmte und ein Feuergefecht entbrannte. In den offiziellen Berichten werden die vier auf der Haftliste mit "Vermuteter Aufenthaltsort: Ostbunker-Komplex" gekennzeichneten Gesuchten wie folgt aufgeführt: Gernot 'Frog' Finstermann: VERSTORBEN; Hans 'Hawaiihemden-Hans' Müller: VERSTORBEN; Tomas 'Hack' Lundmark: VERHAFTET; Stephan 'Styx' Tyxen: VERHAFTET. Was sich in diesen letzten Stunden des Ostbunkers abgespielt hat und welches Schicksal seine übrigen Bewohner ereilte, ist RUNNER'S RESORT leider nicht bekannt. Auch wenn der Fall des Widerstandssymbols Ostbunker sicher keine tatsächlich strategische oder auch nur moralische Bedeutung für die Verteidiger hatte, beschleunigte sich mit seinem Fall der Vormarsch der Sichtec merklich: Am Morgen des 20. September waren über zwei Drittel des Bezirksdistrikts geräumt und am 22. September kapitulierten schließlich auch die letzten organisierten Verteidiger im "Abschnitt Mitte". Die finalen drei Tage kämpfte die Sichtec nur noch gegen unorganisierte Freischärler und Plünderer. Der Rote Bezirksdistrikt Belm-Schinkel und seine sozialistische Ordnung waren da schon längst Geschichte.

Wer bislang glaubte, daß die Niederschlagung der Netzer-Unruhen 2100 (RUNNER'S RESORT berichtete) ein schwerer Schlag für Belmsk war, den hat man mit der Räumung von 2104 eines besseren belehrt. Es wird Monate dauern, bis die schlimmsten Schäden behoben sind. Und wahrscheinlich Jahre, bis in Belm-Schinkel wieder so etwas wie Normalität einkehren kann. Die Gangster und Konzerner im Friedensrat sind sich aber darin einig, ihren Fehler von 2100 nicht zu wiederholen (RUNNER'S RESORT berichtete): Belmsk soll wieder ein fester, vollwertiger Teil der Friedensstadt und damit festes Einflußgebiet der neuen Machthaber werden. Gerüchten zufolge haben Russen, Italiener und Koyoten den Distrikt bereits unter sich aufgeteilt und mit den Konzernen verbindliche Absprachen über Investitionen für ein groß angelegtes Wiederaufbauprogramm getroffen. So bekommt jeder der Pinkel und Profiteure ein ordentliches Stück vom Kuchen ab, während den Belmskern wieder allerhöchstens die Brotkrumen bleiben werden. Eben der ganz normale Wahnsinn. Anno 2104. In der Friedensstadt Osnabrück.

NEWS vom 14. Oktober 2104: In der Story END OF THE LINE ist ein Augenzeugenbericht über die letzten Stunden des Ostbunkers veröffentlicht.

NEWS vom 25. Dezember 2105: In der Story RED RAIN sind weitere Hintergründe zur Blockade und Räumung von Belm-Schinkel veröffentlicht.

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