TWILIGHT ZONE - Der Untergang des Ostbunkers II

(aq/hc) Diese Story handelt von Antiq und seinem Weg nach den Ereignissen von END OF THE LINE. Er geriet in der Schattenszene in Verruf, weil er die Sichtec-Agentin Uzi trotz Kenntnis nicht enttarnte. Auf meine Anregung hat er sich entschlossen, öffentlich von den damaligen Umständen und Hintergründen zu erzählen. Seine Geschichte ist auch 1 ½ Jahre nach der Räumung von Belm-Schinkel und dem Ende des Ostbunkers noch ein zutiefst erschütterndes Dokument und enthüllt außerdem die Zustände in der "Zentralen Aufnahmestelle für Identitätslose" (ZAStI) im Distrikt Bramsche, in deren Zwielicht damals unzählige "Unpersonen" verschwanden. Und ein Anfang ist sein Geständnis allemal.

Der folgende Text ist das Transkript einer Audioaufnahme Antiqs, das ich nur redaktionell bearbeitet habe. Antiq war im Ostbunker bis zuletzt der Betreiber des "GoodNite Inn", Mitglied bei den Ostratten und Freiwilliger Helfer der "Volkspolizei" der Roten Volksarmee (RVA).

"Du willst einen Bericht über meine Zeit in der "Zentralen Aufnahmestelle für Identitätslose", du sollst ihn bekommen. Für mich ist die Aufnahmestelle aber nur noch das "Lager". Ich werde versuchen, der Reihe nach zu erzählen. Aber ich werde nicht alles erzählen. Nicht weil ich Geheimnisse habe, sondern weil es um Dritte geht, die nix mit den Schatten zu tun haben. Und ich will, daß das auch so bleibt.

Nach dem Sturm auf den Bunker haben uns die Sichtecs nach draußen geschleppt und getrennt. Ich habe da Hack, Styx und Adam das letzte Mal gesehen. Und Uzi, die Verräterin, auch. Werde ihr Gesicht bestimmt nie vergessen, wie sie blaß und zittrig zu Hirken in den Kopter stieg. Ruby und Lolly Pop waren bei mir in einem anderen Hubschrauber. Wir wurden über die brennenden Ruinen geflogen und sahen zum ersten Mal seit Tagen was dort draußen abgegangen war. Es war einfach nur grauenhaft. Überall Feuer und Explosionen. Trümmer. Panzer. Soldaten. Rauch und Dunkelheit. Zum Glück haben wir nicht so richtig viel von den ganzen Toten und Verletzten gesehen. Wir waren fertig genug. Der Hubschrauber landete. Die Sichtecs warfen uns fast heraus zu ihren Kollegen. Und dann wurden wir getrennt. Ich bekam noch mit, daß Ruby und Lolly Pop zappelten und mir irgendwas zuriefen. Aber ich konnte sie nicht verstehen bei dem ganzen Lärm. Habe mich widerstandslos in ein kleines Zelt führen lassen von zwei Sicherheitsoffizieren. Ich hatte nämlich während des Fluges schon einen Plan gemacht. Hatte gehofft, daß auch die Mädels bei mir wären, aber so mußte ich ihn alleine durchziehen.

Ich sagte also sowas wie "Bevor ihr zwei anfangt, hab' ich einen Deal für euch. In meinen Stiefeln befinden sich 20K. Das Geld gehört euch, wenn ihr mir zwei Wünsche erfüllt. Wir verschweigen es beim Protokoll, so ka?" zu den beiden Sichtecs. Die waren völlig perplex. Das Geld hatte Jakob mit in den Bunker gebracht. Für unser neues Leben. Jetzt mußte ich es verwenden, um mich freizukaufen. Denn ich wußte, wenn die einen Terroristen aus mir machen bin ich am Arsch. Das hätte Jakob sicher nicht gewollt. Und gefunden hätten die das Geld sowieso. Also habe ich sie auf böse Gedanken gebracht.

Der eine meinte daraufhin: "Wenn du wirklich soviel Geld bei dir hast, warum sollten wir es uns nicht einfach nehmen?" War eine Frage, die ich kommen sah. Mußt mir einfach glauben, daß ich einen echten Killersatz als Antwort gebracht habe, der ihm klar machte, daß ich kein blutiger Newbie mehr bin. Er hat die Drohung dann verstanden. Danach hatten wir einen Deal. Ich durfte meinen Anhänger behalten. Den Anhänger, der einmal Jakob gehört hatte. Mit dem ich versucht habe, ihn damals zu finden. Auf magischem Weg. Aber ich schweife ab. Der zweite Teil des Deals bestand aus einem Anruf bei meinem "Anwalt" wie ich ihn mal nennen will.

Dann habe ich den Inhalt meiner Stiefel ausgeleert und den Anruf bekommen. Mit wem, das werde ich aus den schon genannten Gründen für mich behalten. Lange Rede, kurzer Sinn: Mein Anwalt wollte kommen. Ich muß dir nicht sagen, daß er eigentlich nicht mein Anwalt ist. War nur so eine Redensart wegen der Sichtecs. In der Zwischenzeit habe ich den beiden meine Geschichte erzählt. Ich sagte ihnen, daß ich Hausmeister im Ostbunker war, keine ID mehr hätte und mich um das Inn gekümmert habe. Alles andere habe ich für mich behalten. Und die Sichtecs haben mir die Story wirklich abgekauft. Haben sogar einen Sani gerufen, der sich um meine Schußwunde gekümmert hat. Ach ja, die Schußwunde habe ich ganz vergessen. Als die Jungs von diesem Freiheitsbund Belmsk im Ostbunker herumgeballert haben, wurde ich angeschossen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mir eine Kugel eingefangen. Aber damals war mir das ziemlich egal - wie du dir denken kannst. Was wußte ich schon? Die Schmerzen sollten erst noch kommen.

Das Timing meines Anwalts war echt super, denn er tauchte auf, kaum daß ich verbunden war. Die Sichtecs haben mit ihm das übliche Prozedere durchgezogen und erklärt, ich hätte keine ID mehr und käme deshalb in das Lager. Sie räumten meinem Anwalt aber die Möglichkeit ein, mich nachträglich identifizieren zu lassen. Das war nur eine vage Möglichkeit, aber das war mir da noch nicht klar.

Mein Anwalt und ich hatten dann die Gelegenheit, Privates zu bequatschen. Was wir dann auch taten. Ich habe vieles mit ihm geklärt in unseren fünf Minuten. Aber das wichtigste war, daß Jakobs Eltern erfuhren, was mit ihrem Sohn passiert war, damit sie ihn begraben konnten. Schließlich war das mit Jakob auch meine Schuld. Damals wußte ich natürlich nicht, daß das alles klappen würde. Ich habe bloß die Hoffnung gehabt. Diese Ungewißheit hat mich echt fertig gemacht. Ich habe zwar angenommen, daß Jakobs Seele schon im nächsten Leben oder so ist, aber der Kram ist eine Sache. Für eine anständige Beerdigung zu sorgen eine andere. Ich hätte gerne auch was für die anderen Toten getan, aber das konnte ich nicht. Wegen meiner Tarnung. Und weil Frog, Kitty und Hans eben nicht irgendwer waren. Deren Freund hätten die Sichtecs nicht gehen lassen. Bei mir hatten sie aber weder Waffen noch Drogen gefunden. Ich habe auch meinem Anwalt nicht alles erzählt, aber wie die Sichtecs hat auch er meine Story geglaubt. Das war gut. Nur konnte er mich noch nicht mitnehmen. Was echt scheiße war. Ich wollte auf keinen Fall in dieses Lager und dort verrecken. Aber es ließ sich nix machen. Die beiden bestochenen Sichtecs konnten mich an dem Abend nicht so einfach gehen lassen. Das wäre wohl einfach zu auffällig gewesen. Aber sie haben noch was gemacht, das ich erst später verstanden habe.

Jedenfalls kam ich erstmal in das Lager. Mit nichts weiter als meinem Anhänger und der Hoffnung, doch noch irgendwie herauszukommen.

Im Lager regierte das Chaos. Es war so eine kleine Stadt aus Containern, Stahlkonstruktionen und Zelten und hoffnungslos überfüllt. Shanty Town. Twilight Zone. Kaum medizinische Versorgung, zum Essen bloß Fraß, wenig Wasser. Die Stimmung war so aggresiv wie die Zustände katastrophal. Nach zwei Tagen hatte ich das Gefühl, in der Hölle zu sein. Meine Lagerkleidung war verdreckt, ich war ungewaschen, hungrig und müde. Selbst während der verdammten Blockade ging es mir nicht so scheiße. Meine Schulter pochte und schmerzte ohne Pause. Ich weiß ja nicht viel über Medizin, aber mir war klar, daß sich die Wunde entzünden könnte. Dann würde ich einen qualvollen Tod sterben. Ich habe Menschen gesehen, die fiebernd, kotzend und schreiend auf den alten, dünnen Matten zusammengepfercht und ohne Hilfe verreckten. Andere hatten schon so einen Zombieblick drauf. Ich ahnte, daß ich bald genauso gucken würde. Und obwohl ich mir den Arsch abgesucht habe, konnte ich Brain nicht finden. Das hat mich echt wahnsinnig gemacht. Ich hatte so gehofft, herauszukriegen wo er steckt und mit ihm zusammen dieses Lager durchzustehen. Aber ich blieb alleine. Irgendwann war ich sicher, daß er tot war. Ich habe mich aber an die dünne Hoffnung geklammert, irgendwann selbst noch herauszukommen. Alles andere, meine Trauer über Jakobs Tod und den der vielen anderen, Uzis und Styx' Verrat, was mit Hack und Adam passiert ist, was aus Ruby und Lolly Pop wurde (ich hoffte so, sie wären nicht im Lager gelandet), alles das, das habe ich in diesen zwei Tagen total verdrängt. Ich mußte. Denn ich wußte, wenn ich an sie denke, würde ich einfach heulen müssen. Und mir war klar, daß die anderen im Lager mich dann fertig machen würden. Also versuchte ich hart zu bleiben. Ich hatte keinen Schimmer, daß mir das nix nützen würde.

Ich habe die drei Typen gerade noch rechtzeitig bemerkt, die mich einkreisten. Ihr Anführer hat mich gleich angemacht, beleidigt und gefragt ob ich nicht einer aus dem Ostbunker wäre. Ich habe ganz auf unschuldig getan, aber seine Kumpels meinten, ich wäre "die kleine Terroristenschwuchtel". Was besseres ist ihnen nicht eingefallen. Als der eine über Frog herzog, habe ich mich doch glatt verplappert als ich sein Andenken verteidigt habe. Er war irgendwie doch mein Captain. Da gingen die drei auf mich los. Ich weiß nicht so recht wie aber ich bin ihnen entkommen. Ich rannte so schnell ich konnte. Obwohl ich fertig war. Aber ihnen ging es wohl auch nicht so gut. Jedenfalls hatte ich einen Vorsprung bis ich checkte, daß ich direkt in die Richtung von so einem Stahldrahtzaun lief, der das Lager unterteilte.

Ich rannte in eine Falle!

Dann prallte ich gegen einen verdammten Hünen und fiel fast auf die Fresse. Der packte mich, zerrte mich auf die Füße und maulte mich voll an. Ich zappelte, aber seine Pranken ließen mich nicht los. Er wollte wissen was los war. Ich, völlig verzweifelt, sagte es ihm. Er sah die Typen, die da im Blutrausch näher kamen wie die Raubtiere und schlug mir kaltblütig einen Deal vor. Meinte, er würde mich beschützen. Als ich ihn nach der Gegenleistung fragte, erwiderte er nur, ich sollte ein bißchen nett zu ihm sein und packte mir dann grob an den Arsch. Und drückte zu.

Mir war natürlich sofort klar, was der Kerl von mir wollte. Nur habe ich für diese Knastschwulen eigentlich so ziemlich gar nichts übrig. Ich meine, warum soll man sich nur in solchen Lagen das Vergnügen gönnen? Ich habe diesen Kram nie gerafft. Der Typ hätte bestimmt auch so jemanden gefunden...

Ich hatte nicht viel Zeit mich zu entscheiden. Meine Verfolger rannten nun nicht mehr, weil sie mich gesehen hatten. Sie wähnten mich schon erwischt. Und ich konnte ihnen ansehen, daß sie es absolut ernst meinten. Die machten keinen Spaß. Ich wußte schlagartig: Die würden mich umbringen. Aus Rache, Mordlust oder so. Keine Ahnung. Aber die Erkenntnis war einfach so da. Als ich sah wie sich die Leute um uns herum hektisch verpissten, da wußte ich, daß mir keiner helfen würde. Ich erinnerte mich an das Versprechen, daß ich Ruby und Lolly Pop gegeben hatte.

Also sagte ich: "Deal!" Mein fremder "Retter" meinte, ich solle mich hinter ihn stellen und die Fresse halten. Dann waren die Verfolger da. Ihr Anführer forderte den "Knastjungen" auf, die "Schwuchtel" herauszugeben und mein "Beschützer" meinte, sie sollten kommen und sie sich holen. Daraufhin sagte der Anführer: "Wir wollen keinen Ärger mit dir. Der Typ is' einer von den Roten. Die sind Schuld an dem Desaster hier..." Mein Fremder drohte: "Mir egal. Der Kleine gehört zu mir." Da dachte ich schon, daß sie auf ihn losgehen würden. Aber nix da. Sie schluckten seine Worte, motzten noch ein bißchen herum und trollten sich. Erst dachte ich, daß ich vielleicht überstürzt gehandelt hätte und die Typen doch nicht soviel drauf gehabt haben. Doch dann erkannte ich, daß der Hüne in so einer perfekten Kampfstellung da stand - wie eine Actionfigur von einem Supersoldaten. Da wurde mir klar, daß sie echt Respekt vor dem Kerl hatten. Der packte mich dann am Arm, zog mich zu einem Container und stieß mich ins Innere. Im spärlichen Licht einer Halogenlampe sah ich eine Lagerstatt, ein paar Stühle und einen Tisch. "Home, sweet home", meinte er ironisch.

Ich nahm Platz, stellte mich vor und bedankte mich. Er erinnerte mich an den Deal und meinte, ich solle ihm keinen Ärger machen - als hätte ich das vorgehabt! Dann sagte er, ich könnte ihn entweder "Meister" oder "Bane" nennen. Schließlich hat er mich gemustert und wegen meiner Schulter gefragt. Ich sagte ihm, daß ich angeschossen wurde. Er erzählte, er sei beim Militär gewesen, holte ein Medipack und gab mir eine Spritze. Nicht aus Mitgefühl, sondern weil ich sein hübsches Stück Fleisch war. Dann hat er wieder gelacht und nur gemeint, er macht uns was Warmes zu Essen und ich solle es mir schon mal auf dem Bett bequem machen. Er würde mich dann schon noch füttern. Der Kerl hatte einen echt üblen Humor.

Ich fläzte mich auf das Bett. War gar nicht so übel. Besser als der Drek, in dem ich vorher geschlafen hatte. Ich versuchte, die Augen zu schließen und an etwas Schönes zu denken. An den Sandstrand aus meinen Träumen. An Jakob. Aber es gelang mir nicht. Nicht an diesem Tag und nicht an den folgenden. Ich war 24/7 in der Realität, die Gay-Variante von Little Red Riding Hood und er war der große böse Wolf. So ka? It was no raping. But it wasn't fun nor pleasure. Anyway...

Nach etwa zehn Tagen oder so, ich hatte irgendwann aufgehört zu zählen, gab es plötzlich voll den Tumult. Die Sichtecs rückten an und schnappten sich irgendwie wahllos Leute. Trieben sie zum Ausgang. Mich holten sie aus dem Container während fünf Mann Bane mit Shotguns im Auge behielten. Ich schaute mich um und checkte, daß sie die ganz kleinen Fische herauszogen. Und wunderte mich. Weil ich doch eigentlich aus dem Ostbunker kam. Dann dämmerte mir, daß die beiden Sichtecs davon offenbar nix in ihrem Bericht erwähnt hatten. Denn ich wurde in so eine Halle geführt, wo mich ein Arzt kurz ansah und für gesund befand. Dann kriegte ich sogar meine Sachen wieder, also Klamotten und sogar das Erinnerungsposter aus dem Inn. Das mit Mister Knackarsch und dem Reifen. Und dann haben sie mich und mindestens fünfzig andere einfach so gehen lassen. Keine Anklage, keine Strafe. Na ja, irgendwie hatte ich ja schon eine bekommen: Mein erstes Mal im Knast und gleich das volle Programm. Ich habe zuerst überhaupt nicht gerafft was abgeht. Selbst als mein "Anwalt" auftauchte und mich in Empfang nahm kam mir alles noch wie ein Traum vor. Und dann bin ich zu ihm und habe mit seinem Deck, so einem Scheißteil mit Schimpfwortfilter und automatischen Korrekturen, den einen Beitrag im Board verfaßt über den sich einige so gewundert haben. War schon froh, daß ich auf mein kleines Naked-Dude-Archiv Zugriff bekam. Und habe weder an Hack noch Styx oder Uzi gedacht. Habe eigentlich gar nix gedacht. Und danach...

Ich habe tagelang geschlafen. Aber es war zu meinem Glück jemand da, der mich aus der langen Dunkelheit zurückgeholt hat in die ich mich beinahe verkrochen hätte. Ihm habe ich viel zu verdanken. Und weil das so ist halte ich ihn aus dieser Sache heraus. Vielleicht war er als einer aus der "Lichtwelt" der einzige der mir wirklich helfen konnte, ich weiß es nicht genau. Vielleicht vergessen wir mitunter wie schwach Menschen sein können. Vielleicht bin ich nach dem Ende meiner Träume auch einfach nicht mehr hart genug für ein Leben in den Schatten. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Nur klüger bin ich noch nicht. Aber ich weiß, daß ich das was er für mich tat noch für andere tun muß. Ein paar Schulden begleichen nennt man das wohl.

Vielleicht ist dieser Bericht ein Anfang. Aber das müssen andere entscheiden."

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